SEHNEN - SPÜREN - FREI DENKEN

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Selbst- und Fremdwahrnehmung


Selbst – und Fremdwahrnehmung


Selbst- und Fremdwahrnehmung passen oftmals nicht zusammen.
Ganz gleich ob im Arbeitsumfeld oder in privaten Beziehungen, in jeglichen menschlichen Interaktionen passiert es immer wieder, dass das Feedback von anderen uns überrascht und Aspekte unserer Persönlichkeit zu Tage fördert, die uns selbst nicht bewusst waren.
Wieso ist das so? Was sehen andere, was wir selbst nicht erkennen?
Im folgenden Beitrag möchte ich den Wert eines wohlwollend aufrichtigen Feedbacks deutlich machen. Ich werde herausarbeiten, wie wir dieses natürliche in unserer menschlichen Natur angelegte sozialkompetente Potential für eine realitätsnahe Selbsteinschätzung im Miteinander nutzen können.

Das Wort Selbst - Wahrnehmung spricht für sich. Das Bild, das wir von uns selbst haben, beruht auf Annahmen, die wir selbst für wahr halten. Mit diesen Annahmen von uns selbst, von anderen, von der Welt um uns herum sind wir recht häufig
"auf dem Holzweg".

Das eigene Ich - Bewusstsein kann immer nur einen klitzekleinen Ausschnitt dessen, was der inneren Wirklichkeit tatsächlich entspricht, im Focus haben.
Je nachdem, was ein Mensch gerade empfindet und mit welchen tiefen Überzeugungen er gerade verhaftet ist, werden die Informationen, die er von seiner inneren und auch von der äußeren Wirklichkeit erlebt, von ihm interpretiert.
Neigt er zu Selbstüberschätzung, wird er sich selbst potent und großartig und manchmal auch als omnipotent erleben. Neigt er dazu, sich selbst als minderwertig einzuschätzen, wird er sich selbst eher als klein, hilflos und unfähig bewerten.
Wir können uns also sehr leicht mit unserem Selbstbild irren.

Wir unterstellen anderen dieselbe verzerrte Wahrnehmung,
die wir selbst von uns haben.

Unsere Außenwirkung hat oftmals nicht viel mit dem zu tun, wie wir uns selbst empfinden und einschätzen. Aus empirischen Forschungen weiß man,
dass die Selbst- und die Fremdwahrnehmung von Menschen in der Regel weit auseinander klaffen.

Menschen tendieren dazu, sich so zu sehen, wie sie glauben, dass andere Menschen sie wahrnehmen.
Wir unterstellen anderen also dieselbe verzerrte Wahrnehmung,
die wir von uns selber haben.

Und fragen vielleicht auch deshalb viel zu selten genauer nach?

Was uns dann überrascht, nennen Forscher * „den blinden Fleck“.

Hinter den eigenen „blinden Flecken“ steht immer Angst. Die Angst, sich zu zeigen, wie man ist. Die Angst, von anderen so wahrgenommen zu werden, wie man ist.
Die Angst, sich selbst so zu sehen, wie man selbst wirklich (gerade) ist.
Und schließlich kommt noch die Angst dazu, mit der eigenen Maskerade aufzufliegen.
Da kann ein Mensch noch so laut tönen. Es ist nur wie lautes Singen im Wald.
Sich selbst vormachen: Ich bin hier nicht allein - um sich selbst nicht ängstigen zu müssen.
Doch die Angst bleibt tief innen da, und die lässt sich auf diese Weise allenfalls betäuben, nicht jedoch beseitigen. Zu der ursprünglichen Angst kommt noch das Gefühl eigener Mikrigkeit. Wer kann bei Täuschung und Selbsttäuschung schon wirklich stark und mit sich selbst zufrieden sein? Je größer die Täuschung, desto mehr fühlt man sich innerlich klein und kommt, je stärker man dies verbergen will, in eine tatsächlich immer weiter schwächende Spirale (Angst vor der Angst) hinein.

"Blinde Flecken" bestehen zum einen aus Anteilen unserer selbst, die uns zwar oft auf einer gewissen Ebene durchaus bewusst sind, die wir aber vor anderen verbergen möchten, weil wir „in gutem Licht" dastehen wollen – und dann letztlich (der Bequemlichkeit halber, weil ja kein Mensch gern lügen mag) auch vor uns selbst verdrängen.

Wir sind in solchen Situationen im gleichen Maße nicht ehrlich mit uns selbst wie wir unehrlich mit anderen sind - ohne dabei zu spüren, welchen persönlichen Preis für das eigene Leben wir selbst gerade bezahlen, wenn wir einen Schein von uns selbst zur Schau tragen, uns nicht wirklich zeigen, nicht alles sagen oder nur Halbwahrheiten benennen und uns selbst vom Natürlichen in uns abtrennen –
mal ganz von der Tatsache abgesehen, dass wir uns durch solch Verhalten auch von anderen Menschen abtrennen und uns quasi in solchen Momenten „selbst vereinsamen".

Die so genannten „blinden Flecken" bestehen ebenfalls aus Anteilen, die uns bis dato nicht bekannt sind, die andere jedoch sehen und wahrnehmen können.
Es ist vor allem unsere Körpersprache, unsere Mimik, Gestik, aber auch unsere emotionale Ausstrahlung, die bei anderen ankommt und Wirkung erzeugt.
Manchmal widerspricht sogar unsere verbale Sprache dem, was unser Körper aussendet.

Andere Menschen sehen, hören und spüren uns und nehmen Informationsbotschaften auf, von denen wir oft nicht einmal ahnen, dass wir sie aussenden.
Halten wir beispielsweise eine Präsentation, bereiten wir uns in der Regel akribisch auf die zu vermittelnden Inhalte vor.

Von unserem Vortrag erinnern sich die Zuhörer im Nachhinein:
zu 7 % an unsere Worte
zu 38 % an unsere Stimme, die Lautstärke, die Modulation, das Sprechtempo
und zu 55 % an die Physiognomie, unsere Gestik, Mimik und Atmung.

Wenn wir diese Zahlen zu Grunde legen, findet Kommunikation demzufolge
zu 93 % auf non - verbaler Eben statt.

Und weil wir unser inneres Geschehen „nur von innen hören" und unser Körper augenscheinlich seine eigene Sprache spricht, haben wir bei Videoaufnahmen von uns selbst manchmal das Gefühl einer fremden Person gegenüber zu sitzen.

Ein wohlwollendes Feedback hilft dabei, die eigenen untersuchenswerten Überzeugungen in sich deutlich werden zu lassen.

Die wahrscheinlich größten „blinden Flecken“ sind in Anteilen unseres Selbst, die sich im Bereich des Unbewussten befinden, verborgen. Es ist der Bereich, in dem unsere unbewussten Überzeugungen über uns, andere Menschen und die Welt angesiedelt sind.

Vieles von dem, was wir nach außen aussenden, hat seinen Ursprung auf der Ebene des unbewussten Denkens. Ein wohlwollend kritisches Feedback von anderen ist hier oft ein guter Hinweis, der uns dabei unterstützt, uns unserer Überzeugungen bewusst zu werden.
Sowohl jener Überzeugungen, die uns unterstützen und Kraft geben, als auch solcher, die Nährboden sind für eigene Ängste, den eigenen Selbstzensor und die Vorwürfe und Vorurteile gegenüber der Umwelt, die von uns ja, wenn einmal erkannt, auch verändert werden könnten und sollten.

In jedem Falle sehen und hören vier Augen und Ohren (oder auch mehr z.B bei einer Gruppe) als jeweils zwei. Und wenn es Übereinstimmungen oder auch Diskrepanzen gibt, können wir in jedem Falle der Wirklichkeit jeder für sich und gemeinsam dichter rücken. Daher sind die Einschätzungen (auch gerade wohlwollende Kritik) anderer Menschen grundsätzlich als wertvoll und dadurch als kostbares Korrektiv zu erachten.

Durch ein wohlwollendes Korrektiv entsteht die Option, aufrichtig in sich hinein zu spüren und sich zu fragen: Was löst die Einschätzung des anderen Menschen in mir aus? Ganzherzig erspürend komme ich vielleicht zu neuen Antworten und Blickwinkeln. Wenn es in mir klingt, scheint etwas dran zu sein. Wenn es nicht innen klingt, wird es wahrscheinlich nicht der Wirklichkeit entsprechen. (Denn auch andere Menschen können irren - weil sie ihrerseits ebenso oft "Opfer" ihrer eigenen Überzeugungen sind.)
In jedem Falle öffnet und weitet sich, wenn ein Mensch sich mit dem Feedback von anderen auseinandersetzt, die eigene Wahrnehmung.
 
Das, was ich beim anderen Menschen sehe,
ist meine persönliche Interpretation über ihn.

Wichtig erscheint mir auch, dass der Mensch, der ein Feedback gibt, sich selbst dessen bewusst ist, dass das, was er beim anderen zu sehen und zu hören meint, nur seiner persönlichen Interpretation des Wahrgenommenen, mit der er sich seinerseits irren kann, entspricht.

Es ist daher stets angebracht, vor einem möglichen Feedback, nach den persönlichen Beweggründen für das eigene Handeln zu forschen.
Warum möchte ich ein Feedback geben? Welchen Vorteil verspreche ich mir?

Ungebetene Ratschläge sind zumeist nicht förderlich.

Ein Feedback (vor allem im Falle von Kritik) kann gerade dann unterstützen, wenn wir den anderen Menschen über unser Vorhaben informieren und fragen, ob er/sie dafür offen sein möchte und kann.

Wir können unser Training für eine konstruktive und authentische
Feedback - Kultur im Miteinander nutzen.

Bisher haben wir - gesamtgesellschaftlich betrachtet - nur in wenigen sozialen Räumen eine konstruktive und authentische Feedback - Kultur institutionalisiert.
Was am anderen auffällt, kommt häufig erst dann zur Sprache, wenn es zu Konflikten oder Missverständnissen kommt. Oft sagen wir nichts, weil wir befürchten, den anderen zu kränken, die Arbeits- oder persönlichen Beziehungen zu gefährden
(hier setzt die Kraft der Gedankenüberprüfung an).
Genau das Gegenteil ist jedoch zumeist der Fall, denn Kommunikation läuft ja vor allem, wie oben beschrieben, non - verbal über die Körpersprache ab.
Es bringt Sinn, die anderen nicht für dumm zu halten und in der Eigenverantwortung für sich und für das eigene Leben zu bleiben!
Mit eigener Authentizität und Transparenz kann ein Feld von gelebter Mitmenschlichkeit entstehen. Indem wir aufrichtig mit uns selbst sind und uns anderen Menschen authentisch zeigen, indem wir sie fragen, wie ihre Einschätzungen und Lösungsbeiträge sein könnten, verbinden wir uns mit anderen, die sich im Grunde auch danach sehnen, ebenfalls ihre Maske absetzen zu können.

Wenn wir uns einander aufrichtig zeigen, sammeln wir Energie, die dann für das Wesentliche im Leben eingesetzt werden kann.

Oftmals sind uns unsere spezifischen persönlichen Qualitäten unbekannt, oder wir fühlen uns noch nicht stabil genug und zuwenig vertraut mit ihnen.

Eine gesunde Feedback-Kultur schafft den Raum für Wachstum und Vertrauen. Wer sich als ganze Person gesehen fühlt, der kann persönliche Stärken und Qualitäten entfalten, weil weniger Energie darauf verwendet werden muss, mit Unsicherheiten und Ängsten "einsam" und "verheimlichend" umzugehen.
Erst wenn eigene Schwächen sichtbar sein dürfen, können wir uns von anderen unterstützen lassen, werden wir von anderen „gehört und gesehen“.
Im Verlauf dieses Prozesses hören und sehen wir uns selbst immer klarer und können schrittweise das an uns verändern, womit wir uns persönlich nicht wohl fühlen und uns selbst und andere Menschen (noch) schlecht behandeln.

Es geht also darum, den öffentlichen Teil der Persönlichkeit langfristig und nachhaltig zu vergrößern. Rückmeldungen von anderen helfen uns, die für uns unsichtbaren Aspekte unserer Außenwirkung aufgezeigt zu bekommen und langfristig für uns selbst zu integrieren. Das betrifft sowohl unsere Stärken wie auch unsere Schwächen.
Tatsächlich haben viele Menschen gerade von ihren ganz spezifischen persönlichen Qualitäten in der Regel nur eine blasse Ahnung, so dass sie sich in einem Klima, wo ehrliche Feedbacks möglich sind, von sich selbst sehr positiv und stärkend überraschen lassen können.

Besonders die Arbeit in der Gruppe bietet die Möglichkeit in einem geschützten sicheren Rahmen Feedback zu geben und zu bekommen.
Immer wieder machen wir die Erfahrung, dass das Ausleuchten der eigenen blinden Flecken ein erstaunliches persönliches Wachstum ermöglicht.  

* Quellen
- eigene und gemeinsame Lebensforschung im SSGZ (SICH SELBST GUT ZUHÖREN Training)
- Das Vier-Ohren-Modell. Friedemann Schulz von Thun
- Das Johari-Fenster. Joseph Luft und Harry Ingham.

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